Ermordung der Suryoye 1915

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Rede zum Gedenken an den Jahrestag des Beginns der Ermordung der Suryoye am 24. April 1915

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Schweigemarsches in Erinnerung an den Beginn der genozidalen Vernichtung der Assyrer am 24. April 1915!

Wir stehen hier am Gedenkstein zur Erinnerung an die aus Gütersloh stammenden Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens, die aus rassistischen Gründen in der Zeit des deutschen Faschismus aus Deutschland flüchten mussten oder in den Vernichtungslagern umgekommen sind.

Diese Politik wurde lange vorbereitet: Aus der Niederlage des Deutschen Reiches im Weltkrieg 1914 -1918 wurden keine Lehren gezogen. Die Schuldigen an der Kriegstreiberei wurden nicht vor Gericht gebracht – nein – sie stürzten das Land dazu noch in einen Bürgerkrieg, der durch die Niederlage der fortschrittlichen Kräfte dazu führte, dass sich keine echte Demokratie entwickeln konnte.

Die Kriegsgewinnler des verlorenen Krieges, die in der Inflationszeit von 1918-1923 ihre Industrieanlagen nicht verloren, arbeiteten daraufhin an neuen Profiten, die sie zusammen mit revanchistisch-kriegstreiberischen Politikern zu erreichen versuchten. Das konnte nur gelingen, wenn man ein ganzes Volk verhetzen konnte. Der Weg dazu verlief über den Antisemitismus. Hier wurde frech gelogen und behauptet, dass die Juden an allem schuld seien. Mit dieser Sündenbocktheorie konnte man nicht nur einen Großteil der vorher ins Elend gestürzten Landsleute verhetzen, sondern durch den Raub an jüdischem Eigentum den nächsten Krieg finanzieren. Und so war die Nacht des 9. November 1938 nur eine Zwischenstation in der Vernichtung der Juden. Dieser Gedenkstein erinnert an die in dieser Nacht durch Feuer zerstörte Synagoge.

In einer solchen Entwicklung war es nahezu unmöglich, die Verbrechen des vergangenen Weltkrieges, die auch durch die Verbündeten des Deutschen Reiches, in diesem Falle des Osmanischen Reiches, der heutigen Türkei, geschahen, aufzudecken, geschweige denn zur Anklage zu bringen.

Doch wir klagen an: Das deutsche Kaiserreich, weil es seine Verbündeten nicht zu einer „sauberen“ Kriegsführung angehalten hat – im Gegenteil: hier wurde schon einmal geübt, was später in den Vernichtungslagern der deutschen Faschisten geradezu fabrikmäßig geschah. Hier wurde auch der Boden bereitet für die maßlos unmenschliche Art der Kriegsführung, bei der es Zivilisten zuerst trifft. Zudem förderte die vermeintliche Überlegenheit der Türken eine Einstellung, dass sie sich als die rassistischen Richter über Leben und Tod Andersstämmiger aufspielen durften. Wer in der damaligen Zeit in der Armee des Osmanischen Reiches Soldat war, hatte dieses Denken verinnerlicht. Und Soldaten, das wissen wir, sind keine Bedenkenträger oder Menschenrechtler – mit Ausnahmen: aber will heute jemand für Menschlichkeit kämpfen, wird er als Landesverräter vor Gericht gebracht. Um wie vieles schwieriger wäre es gewesen, damals diese Verbrechen an den Assyrern und anderen Volksgruppen-Minderheiten in der Türkei strafverfolgen zu lassen. Nein, das geht selbst heute nicht.

Die gleiche Haltung überwiegt, es gibt auch wenig Einsicht in die Schuld.

Deshalb könnten wir versuchen, überall auf der Welt, wo Menschen leben, die flüchten mussten, mit Erinnerungsmahnmalen und Gedenksteinen darauf hinzuweisen, dass dies nicht freiwillig geschehen ist und dass die Erinnerung an die Verbrechen auch eine Hilfe sein kann für die Gegenwart und die Zukunft, damit diese Verbrechen nie wieder geschehen.

Deshalb unsere Forderung: auch in Gütersloh einen Ort der Erinnerung zu schaffen für Ihre Menschen, denen ein Heimatrecht verwehrt worden ist, denen gröbstes Unrecht und denen noch keine Gerechtigkeit widerfahren ist.

Erst dann kann Versöhnung greifen.

Und so unterstützen wir Ihren Wunsch eines Mahnmals hier in Gütersloh für Ihre Opfer im Seyfo, an dessen Jahrestag wir heute erinnern.

Wir berufen uns dabei auf die Parteiübergreifende Resolution des Deutschen Bundestages von 2005 zum Thema Völkermord.

Wir fordern die Bundesregierung auf, Einfluss auf die Regierung in Ankara auszuüben, damit die bisherige Politik des Verdrängens, des Verschweigens und des Verleugnens aufgegeben wird.

Wir unterstützen die Initiative eines 1. Mahnmales in Berlin. Und wir unterstützen alles, was den Dialog zwischen der Mehrheitsbevölkerung der Türkei und deren Minderheiten fördert.

Ich danke Ihnen.